Nun in ich schon 4 Wochen hier und wäre eigentlich gestern wieder nach Hause geflogen. Doch die Herausforderungen und die Aufgaben, die hier in den letzten zwei Wochen auf mich zugekommen sind, brauchen noch zwei weitere Wochen, um gute Konzepte für die weitere Unterstützung von Pater Simons Waisen zu erarbeiten.
Ich arbeitete wie eine Sozialarbeiterin – jeden Tag standen die Menschen mit ihrer Hoffnung auf Hilfe vor dem Schwesternhaus. Raymond, Ignace und ich haben alle jungen Menschen empfangen, die bisher von Pater Simons unterstützt wurden. Alle Anderen mussten wir abweisen, obwohl auch sie Hilfe gebraucht hätten. Kinder fragen nach Schulheften (3,50 € im Trimester) einer Schultasche (5,- €) einer Schuluniform ( 7,- €) ohne diesen Dingen können sie nicht zur Schule gehen. Es ist so hart und schwer für mich, sie wegzuschicken. Aber würde ich beginnen, ihnen etwas zu geben, ständen bald noch viel mehr vor der Tür.
Doch auch wenn wir uns nur auf Pater Simons Waisen konzentrieren sind es so viele junge Menschen, die Hilfe brauchen, da sie keine Arbeit haben und die meisten auch keine Ausbildung. Pater Simons hat ihnen immer wieder geholfen, doch nun ist er nicht mehr da und sie haben kein Geld für die Schulmaterialien, eine Werkzeug-Ausstattung oder Berufsfachschule.
Wir arbeiten von morgens bis abends, um mit Allen zu sprechen, ihre Arbeits-, und Berufswünsche zu erfahren – und es ist unglaublich, wie vielen Waisen Pater Simons immer zur Seite stand, wenn sie in Not waren!
Es gibt kein Arbeitslosengeld, keine Schulunterstützung seitens des Staates, keine Sozialhilfe oder andere Hilfsangebote – die Waisen geraten in existentielle Not. Fast keiner hat die Krankenversicherung für sich und seine Kinder von 3,- € im Jahr bezahlen können. Die meisten konnten die Schulmaterialien für ihre Kinder nicht zahlen, manche haben ihre Unterkunft nicht mehr zahlen können und schlafen bei Freunden. Zwei junge Frauen mit Babys ohne Ehemann brauchen eine Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen.
Für zehn junge Männer kann ich bei unserem Schulessensprojekt einen Job für zwei bis drei Wochen vermitteln. Der Manager Peter bezahlt ihnen 1,50 € am Tag. Sie arbeiten hart, von morgens 7 Uhr bis abends 18 Uhr. Schleppen schwere Steinbrocken für die Grundmauern, heben Gräben aus, einige sind Maurer und bekommen 2,- € mehr am Tag. Zusätzlich bekommen sie von mir 2.50 € am Tag, dieses Geld wird ihnen nicht ausgezahlt sondern es ist ihr Startkapital um z. B. ein Fahrrad zu kaufen um als Lastenträger zu arbeiten. „This is help from Padre’s friends in Belgium and Germany“ sage ich ihnen.
So höre ich täglich die vielen Probleme, Geschichten und Schicksale ohne zu wissen, ob ich ihnen helfen kann. Sie hatten bisher immer Pater Simons, doch ich bin nicht Pater Simons und kann ihn auch nicht ersetzen.
Nachts kann ich seit Tagen kaum schlafen – es sind so viele Gedanken, Erfahrungen, Eindrücke, die verarbeitet werden müssen. Ich beschließe einige Tage Urlaub zu machen und mit Jean Claude in den Nationalpark zu fahren. Doch wegen Corona ist es nicht erlaubt das Auto im Nationalpark zu verlassen und dort zu wandern. So überlegen wir ins nahegelegene Benedektinerkloster zu gehen, um ein paar Tage für uns zu haben und über das weitere Vorgehen zu beraten. Ein Gästezimmer mit Blick in den wunderschönen großen Park , eine warme Dusche!!! die Erste seit vier Wochen, gutes Essen und mal keine Hilfesuchenden und Kinder, die mich umdrängen.
Hier ist ein Ort der Stille, sieben mal am Tag treffen sich die 30 Brüder in ihren weißen Gewändern zum Gebet. Ansonsten arbeiten sie in den großen Feldern rund um das Kloster. Ich komme hier nun zu mir selbst, mach Spaziergänge durch die Eukalyptuswälder und Bananenplantagen und bespreche mich mit Jean Claude , auch Raymond und Ignace kommen mal für einen Nachmittag dazu.
Wir erarbeiten ein Konzept für die arbeitslosen Waisen. Wir möchten ihnen nicht, wie Pater Simons es bisher getan hat, die Arbeitsmaterialien schenken, sondern denken an eine Kooperative, die die Werkzeuge, Fahrräder, Nähmaschinen u.a. zur Verfügung stellt. In einem Vertrag verpflichten sich die jungen Menschen monatlich einen Teil ihrer erzielten Einnahmen in die Kooperative einzuzahlen. Erst wenn das ganze Fahrrad, die Nähmaschine oder Bohrmaschine abbezahlt ist gehören die Arbeitsgeräte ihnen. Wir denken, dass es nicht gut ist, ihnen etwas zu schenken.
Ich kann zum ersten Mal seit zwei Wochen wieder schlafen! Ja, so werde ich nun in den verbleibenden zwölf Tagen klären, was noch wichtig ist, damit es dann nach meiner Zeit hier gut weitergehen kann.
Raymond und Ignace sind bereit, für die Projekte zu arbeiten, sie aufzubauen und zu begleiten. Nächste Woche habe ich einen Termin mit dem Bischof um ihm von unseren Plänen zu erzählen. Pater Simons Toyota, ein Geländewagen, soll dem Projekt dienen.
Nun will ich aber vor lauter Arbeitsberichte nicht ganz vergessen, auch die Schönheit der Natur, die Freundlichkeit der Menschen, die tiefe Gläubigkeit der Christen und die freudige lebendige Stimmung bei den Kindern zu nennen.
Ich darf jeden Tag so vielen lachenden, grüßenden und winkenden Menschen begegnen! Und das Leben in der Gemeinschaft mit den Schwestern erlebe ich auch als Geschenk. Aber ich freue mich auch auf zu Hause!
Ich grüße euch Alle aus Ruanda, die ihr an unserer Arbeit hier interessiert seid. Murakose für euer Interesse!
Alwine
Wöchentliche Berichtserstattung von den Hilfsprojekten in Ruanda
4 Antworten
Liebe Alwine,Du machst es genau richtig ..laß das entzündete Feuer nicht erlöschen…. bleibe noch ,solange es Dein Herz Dir flüstert,umsolänger kannst Du Dich auf zuhause freuen!;-)
vergieß bei all der Arbeit nicht das singen , tanzen und lachen , aber dafür sorgen schon diese netten Kinder und Menschen! die Fotos sind soooo schön, danke!!
Alles Liebe,
Luise
Liebe Alwine, gut das Ganze in Hilfe zur Selbsthilfe münden zu lassen! Nur so kann es nachhaltig sein und die Menschen selbstwirksam sein lassen und ihre Würde zu stärken. Ich wünsche dir weiter die Ruhe, auch zu dir selbst zu kommen und die Schönheit und Freude zu genießen.
Liebe Alwine,
die Idee der Kooperative finde ich toll! Das ist echt klasse! ich wünsche Dir und Euch, dass Ihr das Projekt gut in die Wege leiten könnt!
Ich hoffe, die kleine Erholungspause hat Dir ausreichend Kraft für die verbleibende Zeit geschenkt.
Genieße die letzten Tage (?), sei in deiner Kraft, sei mit den Menschen, singe, tanze, lache.
Herzlich
hannelore
Liebe Alwine, ich bin erleichtert zu lesen, dass du etwas Abstand nehmen konntest und in Ruhe mit den beiden “ Projekt Arbeitern“ ein Konzert erstellst. Bei so viel Armut und Not könnte ich auch nicht mehr schlafen.
Die Versuchung ist groß, noch mehr Geld zu sammeln und zu verschenken, gerade wenn man sieht, dass es ja nur geringe Summen sind die benötigt werden….
Hilfe zur Selbsthilfe ist auf jeden Fall der bessere Weg, auch für die Würde der Menschen.
Mich begeistern deine Berichte und Fotos von diesen strahlenden Gesichtern und der wunderschönen Natur.
Gleichzeitig denke ich immer was ist das nur für ein Staat, der seinen Bürgern keine Unterstützung, Krankenversicherung usw.gewährt!?
Das macht mich wütend und traurig.
Gut, dass du “ die Kurve gekriegt hast“ und deine Abreise jetzt aktiv vorbereitest.
Mit den gewonnenen Ein- suchten und dem Abstand von hier aus, wirst du eine gute Botschafterin für die Waisen sein und sicher auch irgendwann wieder hinfahren!
Mach’s gut, ich denke oft an dich und bete.
Alles Liebe Elvira