Vor einer Woche bin ich wieder nach einer anstrengenden Rückreise in meinem schönen Zuhause in Kelmis angekommen – erschöpft, glücklich, dankbar, ausgefüllt mit so vielen reichen, liebevollen, interessanten, berührenden, traurigen und hoffnungsvollen Erfahrungen.
Mein Körper ist heile und gesund wieder zurück – doch meine Seele braucht noch einige Tage bis sie nachkommt. Es sind so verschieden andere Welten in Ruanda und hier bei uns – unbeschreiblich, wie groß mir unser Komfort und Luxus vorkam, der Überfluss, die vollen Regale in den Supermärkten, meinen großen Wohnraum, die warme Dusche, der volle Kleiderschrank. Wir haben so gute Lebensbedingungen und ich bin mir dessen oft gar nicht bewusst.
Nun, wo ich wieder zu Hause bin und die Fotos anschaue und mich erinnere, sind sie alle wieder da, diese Menschen und Augenblicke die ich mit ihnen hatte – und manchmal kommen mir die Tränen bei den Erinnerungen an manche besonderen Begegnungen.
Die alte asthmakranke Frau mit ihrer Beatmungsmaske, bekam früher als direkte Nachbarin von Pater Simons immer Hilfe bekam. „Pater Simons Schwester ist gekommen“ hatte man ihr gesagt. Vom Regen überrascht kam sie zu Fuß durchnässt und frierend einen langen Weg zum Schwesternheim um mich zu treffen. Sie weinte als ich ihr Pater Simons Foto schenke. Wir beten zusammen und ich schenke ihr meine warme Fließjacke. Sie hört gar nicht auf zu beten und Gott zu danken. Raymond bringt sie mit dem Auto nach Hause und sieht, dass diese alte kranke Frau in ihrer Hütte auf dem Boden ohne warme Decke schläft. Wir kaufen eine Matratze für 13 Euro und eine Wolldecke für 6 Euro und einen Teppich für 30 Euro und Raymond bringt ihr diese Dinge.
Jolange kommt mich besuchen. Sie ist im Mädchen-Kinderheim bei den Schwestern aufgewachsen und auch die Schwestern freuen sich, sie zu sehen. Jolange hat im Genozid als Kind eine Kopfverletzung bekommen und kann nicht selbständig einen Beruf ausüben. Sie lebt bei einer Familie, doch dort bekommt sie nicht immer was sie braucht. Wir verstehen uns und ich schenke ihr spontan einige meiner Blusen und T-Shirts. Am Abend gestalte ich für die Schwestern und angehenden Schwestern, die Kochfrau und meinen besonderen Freund Quisera (dem Kuhjungen der Schwestern) einen Abend der spirituellen Lieder mit Kerzen und Liedern, die alle mitsingen. Jolange ist auch dabei und singt von Herzen mit.
Am vorletzten Tag tauchte endlich noch Damian auf. Wir hatten wochenlang versucht herauszufinden, wo er ist. Er war einer der Waisen von Pater Simons, der ihm besonders am Herzen lag. Wir hatten gehört, dass er seine Arbeit als Wassertechnologe verloren hatte. Pater Simons hatte ihn immer dafür bezahlt und somit für die gesamte Wasserversorgung der Gegend gesorgt. Nun, wo Pater Simons nicht mehr da war und Damian ohne Einkommen war, war er obdachlos geworden und nicht mehr erreichbar ohne sein Handy. Als Baby hatte ihn Pater Simons im Genozid vom Rücken der ermordeten Mutter geborgen, sowie auch noch weitere Babys, deren Mütter auf dem Marktplatz zusammengetrieben und getötet wurde. Pater Simons rettete diese Babys und nahm sie in sein Heim auf. Damian wollte bis an Pater Simons Lebensende für ihn da sein. Nun war „der verlorene Sohn“ wieder nach Hause zurück gekehrt -, ohne irgendetwas außer dem T-Shirt, der Jeans und den Plastiksandalen am Körper.
Raymond und Ignace bieten ihm an, bei ihnen zu wohnen, über Schwester Bernadette konnte ich ihm einen Hilfsjob in der Schulküche besorgen (für 20 Euro Lohn im Monat) und wir nahmen ihn mit nach Butare, wo wir ihm das Nötigste, was man zum Leben braucht, kauften (eine neue Hose, ein T-Shirt, eine Jacke, eine Matratze, eine Decke, Second-hand Schuhe, eine Zahnbürste, Seife und ein Handtuch) Er war sehr glücklich und hatte nun seine „großen Brüder“ Ignace und Raymond wiedergefunden, die ihm bei seinem Neustart helfen würden.
Besonders gut lernte ich die zehn jungen Männer von Pater Simons kennen, die arbeitslos geworden waren. Ich hatte ihnen für drei Wochen Arbeit bei der Errichtung des großen Zeltes für das Schulessen vermittelt. ( für 1,50 Euro am Tag) Als sie ihre Arbeit beendet haben, laden wir sie zu einem Treffen in dem großen Klassenraum der jungen angehenden Schwestern ein. Wir informierten sie über unsere Idee mit der Cooperative und sie sind sehr interessiert. Anschließend gibt es Getränke und Snacks und wir schauen gemeinsam Fotos auf meinem Laptop von meinem Besuch vor 14 Jahren an. Sie sind begeistert, denn sie kennen alle auf den Fotos und erinnern sich an alte Zeiten mit Pater Simons im Heim. Anschließend stehen sie im Kreis und singen inbrünstig Pater Simons Lieblings-Marienlied und zum Schluss beten sie ein Vater unser und ein „Gegrüßet seist du Maria“. Es wäre so wichtig, ihnen zu helfen, damit sie sich eine Arbeitsmöglichkeit schaffen können.
Die jungen Mädchen, die sich für ein Leben als Schwester vorbereiten, singen so viel, so gerne und so begeistert. In der letzten Woche gebe ich ihnen täglich eine Stunde Gitarrenunterricht in der Gruppe. Ich zeige Schwester Theodette, wie sie auf ihrem Laptop ruandesischen Gitarrenunterricht auf YouTube finden kann. Meine Gitarre lasse ich ihnen da. Sie werden bestimmt weiter üben – so begeistert wie sie sind .
Das Schulzelt ist inzwischen fertiggestellt, sehr gut befestigt mit Grundmauern, Stahlseilen und Zementhalterungen, einem Zementboden und einem Wassergraben. Auch die Bänke und Tische für 400 Schüler wurden vor Ort gefertigt. Die Küche ist noch sehr einfach. Hier soll für 800 Kinder gekocht werden, die dann in zwei Etappen im Zelt essen. Das Zelt dient zugleich auch als Aula und Versammlungszelt für die Schulgemeinschaft. Es kann ebenfalls ein Platz für Feste und Feiern werden. Die Lehrer und Lehrerinnen sind begeistert und laden mich zu einem Treffen ein und bedanken sich bei den belgischen und deutschen Spendern und bei mir und Julia, die wir vor zwei Jahren dieses Projekt gestartet hatten.
Im Benedektinerkloster haben Jean Claude und ich ein Gespräch mit Bruder Gilbert, dem Superior des Ordens. Sein Orden hat die gesamten Gebäude des Kinderheims Cyotomakara von Pater Simons geschenkt bekommen. Nun möchte ich ihn im Namen des Komitees fragen, ob und was der Orden den Waisen von Pater Simons zurückgeben könnte. Die Waisen von Pater Simons haben nun keinen Ort mehr, an dem sie zusammenkommen können, um sich als große „Familie“ mit den Erziehern und Mitarbeitern zu treffen. Es sind harte Verhandlungen, denn die Benedektiner sehen ihre Berufung mehr im Gebet und in der Arbeit auf ihren Feldern und im Kloster. Eigentlich ist da kein Platz für die Waisen. Doch ich lasse nicht locker. Geben und nehmen muss doch im Einklang sein. Die Benedektiner haben doch so schöne Gästehäuser, warum nicht auch für Pater Simons „Familie“. Am Ende unserer Auseinandersetzungen schlägt er vor, dass „Camp de Jeunesse“ des Klosters dreimal im Jahr für ein Wochenende für die Treffen zur Verfügung zu stellen. Die große Halle am Eukalyptuswald auf dem Klostergelände hat auch eine Küche. Hierher können nun Jean Claude, Raymond und Ignace in den Schulferien zu den Familientreffen einladen, die Zeugnisse der Jugendlichen sehen, ihnen ihre Schulmaterialien geben und in Kontakt bleiben. Auch die älteren Waisen können sich treffen, um sich weiterhin als Pater Simons Gemeinschaft zu erfahren. Jean Claude ist begeistert von meiner Hartnäckigkeit, mit der ich verhandelt habe und ich freue mich über die Zusage. Noch so viele weitere Begegnungen und Erlebnisse könnte ich hier beschreiben. Es war so intensiv und lebendig, so fröhlich und traurig.
Raymond , Jean Claude, Ignace und ich wollen uns zum Abschluss meiner sechs Wochen noch einmal im Benedektinerkloster treffen, um unsere Ideen und Erfahrungen zusammenzutragen und mit Marcel, dem Caritas-Mitarbeiter, der für Kooperativen in der Diözese zuständig ist, zu besprechen. Im Kloster stellten wir Marcel unsere Idee für die Cooperative „Foundation Father Simons“ in Form eines Bildes vor. Wir hatten es spontan für ein Informationsmeeting für die Waisen gemalt, um ihnen eine Kooperative zu erklären.
Der Caritas-Mitarbeiter Marcel fand unser spontan gemaltes Konzept gut und in weiteren Treffen können die Vier nun das Konzept weiterentwickeln und schriftlich verfassen, um es dann dem Kelmiser Komitee vorzustellen.
Jean Claude hatte am letzten Tag ein Gesprächstermin beim Bischof für ihn und mich bekommen. Es war eine schöne Begegnung – mit einem sehr netten interessierten Bischof.
Der Bischof Philippe sprach Deutsch mit mir und erzählte von seinen Beziehungen zu Menschen in der Eifel, mit denen er etwas verband. Nachdem wir ihm von der Notsituation vieler Waisen nach Pater Simons Tod und in Corona-Zeiten erzählten, begrüßte er sehr die Idee der Cooperative und versprach, dass Pater Simons Auto, das zur Zeit die Caritas-Mitarbeiter fuhren, ganz der Arbeit für die Waisen zur Verfügung stehen würde. Wenn es konkret wird, würde er auch über Räumlichkeiten für die Cooperative mit den Schwerstern sprechen. Es gibt noch leere Räume, die früher von Pater Simons bzw. von den Schwestern als Kinderheim der Mädchen genutzt wurde.
Hoffnungsvoll verabschiedeten wir uns – es ist ein sehr gutes Gefühl, den jungen Menschen von Pater Simons in Zukunft durch die Kooperative Hilfe zur Selbsthilfe geben zu können. Es würde dann so sein, dass die jungen Menschen für sich selbst und für ihre Familien ihre existentiellen Lebensgrundlagen erarbeiten müssen, indem sie als Mitglied der Kooperative ihre erhaltenen Arbeitsmaterialien und Werkzeuge wieder zurückbezahlen. Ich bin gespannt, was das Kelmiser Komitee dazu sagt und ob bzw. wie wir die Grundlagen dafür schaffen können. Ich werde in einem weiteren Bericht demnächst auf dieser Webseite davon berichten.
Besuch bei Jean Claude in seiner Pfarrgemeinde.
Doch dann kam das Ende meiner Ruandazeit – es war ein berührender Abschied – mit den Schwestern morgens früh um 6 Uhr. Ich habe sie Alle so gerne! Sie waren für diese sechs Wochen mein Zuhause. Ich durfte ein Teil einer Gemeinschaft sein, die funktioniert und mich getragen hat durch wirklich echte, warme, liebevolle und respektvolle Beziehungen und durch die täglichen Rituale, wie das Singen, Beten und die gemeinsamen Mahlzeiten. So stell ich mir eine gelingende Gemeinschaft auch hier in meiner Zukunft vor. Ich bin so dankbar, dass ich dies erleben durfte und mich dadurch so zugehörig fühlen konnte in diesem fremden Land.
Ich habe beide Gefühle in meinem Herzen – ich bin traurig, dass ich all das nun verlassen werde und loslassen muss und ich freue andererseits sehr auf zu Hause.
Eine anstrengende lange Rückreise mit komplizierten Corona-Auflagen. Die Formulare sind nach fünf Stunden am Flughafen endlich beisammen. Die ganze Nacht fliege ich und lasse diese andere Welt nach und nach hinter mich. Alles hat dann letztlich doch noch geklappt und ich komm gesund, erschöpft, glücklich und gesund zu Hause an.
Ich weiß nun, dass ich weiter arbeiten werde für diese Menschen, dass ich Pater Simons Arbeit mit Hilfe des Kelmiser Komitees und der vielen unterstützenden Menschen in Belgien und Deutschland weiterführen möchte.
Wir haben vier wunderbare Mitarbeiter in Ruanda, denen wir unser Vertrauen schenken können: Die Schuldirektorin Schwester Bernadette, der Priester Jean Claude Buhanga, die ehemaligen Waisen und Mitarbeiter Raymond Muntjenwari und Ignace Nsekambabaye. Ihnen liegt das Wohl der Kinder und Jugendlichen am Herzen und sie möchten Pater Simons Arbeit, wenn auch anders und reduziert, weiterführen.
Ich bin dankbar für Alle, die mir diese Reise ermöglicht haben, die mit mir verbunden waren auch in der Ferne und für meine Töchter Verena und Julia, die mich unterstützt haben. Danke Julia für die Veröffentlichung der Reiseberichte!
Es war schön, Sie und Dich ein bisschen auf meine Reise mitzunehmen und davon zu teilen! Ich freue mich sehr, wenn ihr dabei bleibt und unsere Hilfsprojekte auch in der Zukunft weiter unterstützt!
MURAKOSE! DANKE!
Von Herzen,
Alwine Deege
Wöchentliche Berichtserstattung von den Hilfsprojekten in Ruanda
2 Antworten
Liebe Alwine,zutiefst mitgenommen und erschüttert von deinem Reisebericht mit den vielen zu Herzen gehenden Erlebnissen grüße ich dich und freue mich von dir zu hören. Danke das du uns daran teilnehmen lässt. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder.Liebe Grüße Ursula aus Rietberg.
Liebe Alwine,
tief berührt und beeindruckt von deinen herzergreifenden Reiseberichten, die ich immer wieder mit Tränen in den Augen verfolgt habe, möchte ich dir danken, dass du deine Erfahrungen und Eindrücke und die zu Herzen gehenden Fotos und Videos geteilt hast. Ich bewundere deinen Mut, die Reise in diesen schwierigen Zeiten gewagt zu haben, dein tatkräftiges herzliches Wirken in Ruanda und freue mich, dass du mit den vielen noch zu verarbeitenden Eindrücken im Gepäck wieder gesund zu Hause angekommen bist. Ich werde eure Projekte weiter verfolgen und sende dir herzliche Grüße in der Hoffnung auf ein „singendes“ Wiedersehen.